Das Land des Lächelns

INTERVIEW: Die gesellschaftliche MaskeMusikdramaturg Lothar Krause im Gespräch mit dem Regieteam François de Carpentries und Karine van HerckeKrause: DAS LAND DES LÄCHELNS – Lächeln hat für uns immer eine positive Bestimmung. Welche Bedeutung kommt dem Lächeln in der Operette zu?
de Carpentries: Die Operette „Das Land des Lächelns“ beschreibt ein Land, in welchem man zum Lächeln gezwungen ist. Sou-Chong singt bereits in seinem Auftrittslied „Immer nur lächeln, immer vergnügt …“ und man fühlt direkt, dass das Lächeln eine gesellschaftliche Maske ist. Lächeln ist eigentlich etwas Positives, aber in diesem Fall erzwungen und daher auch etwas Erschreckendes. Für uns ist das Tragen dieser gesellschaftlichen Maske das Thema der Operette.van Hercke: Lächeln ist jedoch auch für Asiaten eine Möglichkeit, um den eigenen Schmerz nicht der gesamten Gesellschaft mitzuteilen – eine Form von Höflichkeit, aber auch Schutz, um eine gewisse Distanz halten zu können. Diesbezüglich gibt es eine Parallele zu der gegenwärtigen europäischen Gesellschaft, in der man Höflichkeitsformen in bestimmten Gesellschaftskreisen wahren muss, beispielsweise in der Politik.de Carpentries: Im „Land des Lächelns“ spielt diese Maske in der Politik eine entscheidende Rolle: Sou-Chong ist im ersten Akt chinesischer Botschafter in Europa und wird im zweiten Akt zu einem politischen Führer. Die Frage, die sich da stellt, ist jene, wie maskiert man sein darf und wie ehrlich man sein muss, um das gesellschaftliche Spiel zu bedienen, aber auch persönliche Beziehungen aufbauen zu können – der Konflikt zwischen eigener Ehrlichkeit und Höflichkeit zu den anderen.Krause: China – einst eine der großen Hochkulturen - war noch im 19. Jahrhundert eines der rückständigsten Länder der Welt, da es sich in mehreren Jahrtausenden kaum weiterentwickelte. In der „Verbotenen Stadt“ lebten Kaiser und Hofstaat nach Riten und Regeln, die tausende Jahre alt waren. Mitte des 19. Jahrhunderts gab es erste revolutionäre Aufstände, 1911 wurde dann schließlich die Kaiser-Dynastie gestürzt. Zwei Jahre vor der Uraufführung des „Land des Lächelns“ gründete Mao Zedong, später der führende Politiker der Volksrepublik China, die chinesische Befreiungsarmee. Mao Zedong spielt auch in eurer Interpretation eine Rolle …van Hercke: Für uns heute ist China vor allem das Alte China mit dem Kaiser, den großen Symbolen und Bildern, uralten Riten und Regeln, die für uns Europäer nur schwer nachzuvollziehen sind. In den 1920er Jahren, in denen auch DAS LAND DES LÄCHELNS entstand, beginnt China, sich zu einem kommunistischen Land zu entwickeln, jedoch existiert das Alte China mit seiner Tradition neben dem Neuen China weiter – eigentlich bis heute. de Carpentries: Ich würde sogar sagen, dass Mao Zedong mit der Volksrepublik China ein neues Kaiserreich gegründet hat. Es gibt zwar andere Regeln, aber es ist exakt das gleiche strukturelle System im Inneren des Staates: Ein Mann allein an der Spitze eines Volkes, wobei die kommunistische Partei wie der Hofstaat von Mao Zedong wirkt. Auch in der Volkswahrnehmung kommt er dem Ansehen des Kaisers gleich. Mit der Mao-Bibel hat er sogar eine Art eigene Religion gegründet.
Krause: Lehárs Operette spielt mit dem Reiz des Fremdländischen und Andersartigen. Seit dem 17. Jahrhundert ist der Exotismus in der Kunst präsent. Wie seid ihr mit dem Konflikt zwischen europäischer und fernöstlicher Kultur in der Ausstattung umgegangen?de Carpentries: Wir wollten vermeiden, das Klischee der verstaubten Operettentradition auf die Bühne zu bringen. In Lehár’s Zeit konnte man direkt die Aktualität des Werkes erkennen - wir haben etwas gesucht, um es näher an unsere Gegenwart zu rücken.van Hercke: Ich mag die Arbeit mit eher postmodernen Bildern auf der Bühne – in Form des Zitierens von Malereien oder auch historischen Kostümen. Mir ist es wichtig, dass es eine ECHTE Malerei der Zeit ist und auch ein ECHTES Kaiserkostüm. Im Bühnenbild des ersten Aktes, der Villa des Grafen Lichtenfels, zitieren wir Malereien von Johann Wenzel Bergl, die im Schloss Schönbrunn zu besichtigen sind. Diese Bergl-Zimmer sind ausgestattet mit eigenartig exotischen Darstellungen von Flora und Fauna an Wänden und Decken. Diese Malereien habe ich zusammengefügt und so das Innere der Villa ausgestaltet. Im zweiten Akt habe ich ein Propagandabild der Volksrepublik China aus den 1970er Jahren genutzt. Die Präsenz dieser Zitate, behaupte ich, erzählt uns heute mehr als die herkömmlichen Darstellungen fernöstlicher Kultur in alten Operetteninszenierungen.Krause: Wieviel Oper steckt in der romantischen Operette „Das Land des Lächelns“?de Carpentries: Ich würde sagen: Es ist eine Oper ohne Tod. Es sind viele Elemente der Oper von Lehár verarbeitet worden, aber am Schluss stirbt niemand.van Hercke: Ich sehe es als Symbol: Am Ende ist in jedem Charakter etwas gestorben, jedoch die Leute sind nicht gestorben. Das Ende ist ähnlich traurig wie jenes einer Oper. Das Orchester erzählt die großen Gefühle – es funktioniert über Themen und Leitmotivede Carpentries: Und „Das Land des Lächelns“ funktioniert über komplizierte Charaktere – keine Schablonen, sondern vielschichtig. Die Figuren sind aus Fleisch und Blut. Man könnte sagen: Eine Komödie mit Traurigkeit.
Regieteam François de Carpentries und Karine van Hercke

Regieteam François de Carpentries und Karine van Hercke


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