Terror

VOM ABWÄGEN DER ARGUMENTE

Regisseurin Antje Hochholdinger im GesprächSchindler: Du stehst dem Stück durchaus kritisch gegenüber. Hochholdinger: Ich sehe das Stück als problematisch, denn es ist sehr manipulativ. Ich habe die Befürchtung, dass das Urteil des Publikums weniger von sachlichen Erwägungen getragen ist, sondern von Sympathie. Man empfindet den Piloten in seiner Selbstzerknirschung als sympathisch und die Staatsanwältin mit ihrer argumentativen Brillanz als kalt und arrogant. Aber ich gebe zu, diese Befürchtung ist gespeist von den jüngsten politischen Ereignissen in meinem Herkunftsland. Ich bin Österreicherin, wir hatten Wahlen, von denen ich denke, dass sie aus Gründen der Inszenierung entschieden wurden weniger durch die Inhalte. Schindler: Ich glaube auch, es hängt an der Darstellung der Staatsanwältin. Da stimmen wir vollkommen überein. Ich denke nur, dass man so etwas wie Sympathie nie wird ausschließen können. Kein politischer oder gesellschaftlicher Diskurs wird ohne Gefühle auskommen. Und meine Lebenserfahrung sagt mir, dass auch im juristischen Bereich Gefühle eine Rolle spielen. Hochholdinger: Genau, das ist mein Grund, es so zu inszenieren, wie ich es inszeniere. Ich bin absolut auf Seiten der Staatsanwältin. Der Weichersteller-Fall ist für mich der entscheidende Punkt. Eine kleine Veränderung der Versuchsanordnung und plötzlich würden die meisten anders entscheiden, weil sie jetzt gezwungen wären, selbst tätig zu werden. Und ein zweites kommt hinzu: Die Sätze der Staatsanwältin klingen intellektuell überlegen und belehrend. Das wirkt schnell unsympathisch. Und mein Verdacht ist: Man spricht jemanden frei, weil dir ein anderer unsympathisch ist. Das ist bizarr. Schindler: Aber das kann man doch nicht ausschalten. Hochholdinger: Dieser zusätzliche Gedanke ist mir sehr wichtig. Denn ich bin ein durch den letzten österreichischen Wahlkampf gebranntes Kind und ich bin eine glühende Anhängerin der Verfassung. Schindler: Ich finde, die große Leistung des Autors ist, dass es ihm gelingt, ein rechtspolitisches, ja gesellschaftliches Problem so zu gestalten, dass ein Massenpublikum gepackt wird. Das ist großartig. Hochholdinger: Sehe ich ganz genauso. Das habe ich gerade beim Probenbesuch einer Schulklasse von Vierzehn-, Fünfzehnjährigen erlebt, die sich am Ende unbedingt austauschen wollten. Man muss nur aufpassen, dass der Weg zu einem Urteil nicht zu kurz ist. Manche Entscheidungen sind sehr komplex, deshalb ist es richtig, Menschen zu haben, die wir zu solchen Entscheidungen ermächtigen. Nämlich die Abgeordneten. Das, was sich da in den sozialen Netzwerken abspielt, hat mit einem demokratischen Prozess oft nur scheinbar etwas zu tun. Ich bin eine Anhängerin der repräsentativen Demokratie. Schindler: Mein Punkt ist: Demokratie wird oft als reines Regelwerk begriffen. Motto: Wenn wir die Mehrheit haben, dann können wir machen, was wir wollen. Demokratie ist aber viel mehr, nämlich ein Wertekanon, zu dem auch Minderheitenschutz gehört. Der erste Satz des Grundgesetzes lautet nicht: Mehrheit ist Mehrheit, sondern: Die Würde des Menschen ist unantastbar. Hochholdinger: Für mich ist das entscheidende Argument der Staatsanwältin: Warum wurde das Stadium nicht geräumt, dann wäre der Kampfpilot nicht in der Situation gewesen, zu glauben, Leben mit Leben aufrechnen zu müssen. Eigentlich sitzt der falsche Mann auf der Anklagebank. Lauterbach und seine Vorgesetzten wären die richtige Besetzung. Aber es geht dem Autor eben um die Abwägung zweier Verfassungsgüter. Schindler: Eine Gerichtsverhandlung ist ein sehr ritualisiertes Verfahren. Emotionen sind dabei möglichst ausgeschlossen. Ist das nicht untheatralisch? Hochholdinger: Ich finde, die Emotionen werden durch die Kraft der Argumente geschürt. Es gibt doch Emotionen, die nicht durch Weinen, Schreien oder körperliche Attacken gepusht werden, sondern weil die Argumente dich aufwühlen. Und das kann dieses Stück. Ich habe mich auch nicht sklavisch an die Verfahren einer Gerichtsverhandlung gehalten, auch darum geht es nicht. Der Autor ist in seinem Hauptberuf Rechtsanwalt, der weiß natürlich, dass am Ende einer Gerichtsverhandlung nicht das Publikum über das Urteil abstimmt. Das dient lediglich der intellektuellen Zuspitzung. Motto: Du musst dich jetzt entscheiden! Es ist eher eine Versuchsanordnung denn eine nachgestellte Gerichtsverhandlung. Es geht um das Abwägen von Argumenten. Schindler: Deshalb bieten wir nach jeder Vorstellung ein Nachgespräch an. Hochholdinger: Das finde ich sehr richtig und wichtig.

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