Macbeth

Bilder für die Abgründe im Menschen

Musikdramaturg Lothar Krause im Gespräch mit Regisseur Reinhardt FrieseKrause: Vor etwas mehr als zwei Jahren ist bei Ihnen die Idee entstanden, die große Tragödie “Macbeth” als spartenübergreifendes Projekt auf die Hofer Bühne zu bringen. Meines Wissens hat bisher noch niemand versucht, den Shakespeare-Text mit der Verdi-Oper zu verbinden - in gewisser Weise erleben wir eine Art “Uraufführung”. Was waren Ihre Zentralgedanken dieser Fassung? Friese: Sowohl das Schauspiel Shakespeares als auch die Oper Verdis sind in sich abgeschlossene Kunstwerke. Es ging mir dabei nicht darum, eines der beiden durch das andere zu verbessern, sondern deren Wirkung mit der Hilfe des anderen zu verstärken. „Macbeth” ist  auf zwei großen Ebenen aufgebaut: der Polit-Thriller um Machtgewinn, Machterhaltung und Machtverlust; auf der anderen Seite die übersinnliche Ebene. Einer meiner Grundgedanken war, dass wir über das Musiktheater das Fantastische und die hochemotionalen Momente erzählen und das Schauspiel den Macht-Dialog führt. So bedingen sich die Sparten ähnlich einer Symbiose. Krause: Nun ist es mehr als 400 Jahre her, dass William Shakespeare die Tragödie „Macbeth“ schrieb, auch Verdis Oper ist bereits 170 Jahre alt, dennoch ist dieses blutige Schauspiel erschreckend aktuell… Friese: Ja! Ich glaube, dass die Kernmotive des Stückes: Machtgier und die Bereitschaft zur Machtergreifung über Leichen (wortwörtlich!) zu gehen - dass diese in der menschlichen Natur verankert zu sein scheinen. Darum geht es in den Werken beider Schöpfer. Und es geht darum - und auch das finde ich sehr heutig -, was das mit den Figuren (vor allem Macbeth und der Lady Macbeth) psychisch macht. Die Frage, die man sich da stellen muss: Kann ich all diese Schritte tun, ohne dass dies Narben in meiner Psyche hinterlässt? Wenn ich an Syrien denke: Kann ich Giftgasangriffe befehlen? Kann ich Kriege, Folterungen, Hinrichtungen befehlen, ohne dass sich das bei mir in der Psyche niederschlägt? Ich sage nein! Ich glaube, dass das alles Dinge sind, die in der Persönlichkeitsstruktur irgendwo ihre Wunden, ihre Spuren, hinterlassen. Man kann nicht davon ausgehen, dass man solche Schritte anordnen kann, ohne dass das die eigene Seele verstümmelt. In dem ganzen Werk geht es nie darum, zu definieren „Was mache ich denn eigentlich, wenn ich die Macht habe?”. Es ist reines Interesse an der Macht um der Macht willen. Es gibt bei Macbeth kein politisches Konzept oder eine große Idee, was den Inhalt der Macht füllen soll. Das führt letztendlich auch zur Einsamkeit von Macbeth und das vorprogrammierte Scheitern. Es geht aber nicht nur um die Radikalisierung der Täter, sondern auch um die der Opfer - das wird sehr deutlich an der Figur des Macduff gezeigt. Auf dieser politischen Ebene ist das Werk heute noch aktuell, aber eben auch auf der zwischenmenschlichen, persönlichen Ebene. Krause: In diesem Zusammenhang spielt der Begriff „Vaterland“ eine nicht unwesentliche Rolle… Friese: Immer wieder ist dem Werk von Schottland und dem Vaterland die Rede, jedoch ohne dass dieser Begriff „Vaterland” jemals mit Leben gefüllt wird, was das denn eigentlich heißt. Ist das ein Vaterland, in dem es den Armen gut geht? Ist das ein Vaterland, das sich über Kriegsführung definiert? Was macht dieses Vaterland überhaupt aus? Diese Inhaltsleere – ein Vaterland, für das man stirbt und mordet, als Wert an sich - das finde ich sehr faschistoid. Krause: Wird der Zuschauer den Faschismus sehen? Friese: Wir haben uns bewusst gegen Schottenröcke oder Kleidung à la Highlander entschieden, eben wegen der vielen Anknüpfungspunkte der Gedanken im Faschismus. Wir spielen das Stück in einem fiktiven faschistischen Land der 1930er Jahre, das sieht man in den Kostümen sehr deutlich. Ähnlich der Hakenkreuzbinden der Nazis gibt es auch hier ein Symbol - das Keltenkreuz. Krause: Und was ist mit der zweiten Ebene? Friese: Neben der Ebene des Polit-Thrillers gibt es die Ebene des Übersinnlichen und der Hexen. Bei Shakespeare sind es drei Hexen, die eher individuelle Noten haben, daraus wird bei Verdi ein Kollektiv. Im Übrigen liegt das meines Erachtens nach nicht an den Gründen des Choreinsatzes - bei Verdi geht es vielmehr darum, dass eine Gruppe Dinge tut und das damit größer gezogen wird, das kommt vermutlich durch die gesellschaftspolitische Entwicklung zu Verdis Zeit. Als Shakespeare das Stück schrieb, waren für die Menschen seiner Zeit Geistererscheinungen wie die Hexen absolut real denkbar. Diese Personifizierung des Bösen hat es vielleicht auch aus Gewissensgründen gebraucht. Bei Verdi haben die Hexen durch die Gruppenbildung schon eine andere Note.   Ich finde diese übersinnliche Ebene für dieses Werk wichtig und da haben wir uns auch bewusst dazu entschieden, diese nicht einfach wegzulassen oder die Hexen zu plündernden Marketenderinnen zu erklären oder diese als Einbildung von Macbeth darzustellen. Vielmehr behaupten wir, dass es die Hexen tatsächlich gibt. Im Rahmen unseres Gesamtkonzeptes arbeiten wir demzufolge sehr viel mit Visionen und Tagträumen. Für mich sind alle Bilder der übersinnlichen Erscheinungen in diesem Werk Bilder für die Abgründe im Menschen. Krause: Die beiden Ebenen, von denen Sie sprachen, grenzen Sie auch bühnenbildtechnisch deutlich voneinander ab? Friese: Uns war wichtig, dass die Ebenen für den Zuschauer gut nachvollziehbar sind. Daraus resultierte auch, dass es eine klare Trennung der gedoppelten Figuren (Schauspiel getrennt zur Oper) geben muss. Die Verzahnung der Fassung beinhaltet immer wieder Wiederholungen - zum Beispiel werden Situationen, die von der Szene beschrieben wurden, von der musikalischen Fraktion nochmal interpretiert - im Grunde genommen gibt es viele gegenseitige Kommentare. Dafür haben wir einen fahrbaren Wagen erfunden, der für uns eine Bühne ist - Bühne im klassischen Sinne mit Theatervorhang. Dort schauen wir in den Kopf der Schauspieler als würde sich dort eine Bühne öffnen, daraus ergibt sich eine zusätzliche Wahrnehmungsebene. Der Schauspieler ist die reale Figur und der Sänger der Gedanke dessen - wie ein Spiegelbild.


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