Mein Kampf

VERANTWORTLICH, DASS ES NICHT MEHR GESCHIEHT

Regisseurin Sapir Heller und Komponist Michael Falk über „Mein Kampf“
Schindler: Worum geht es in „Mein Kampf“?

Heller: Wir befinden uns vor dem Ersten Weltkrieg. In einem Wiener Obdachlosenasyl begegnet Schlomo Herzl, ein Jude, einem gewissen Adolf Hitler, der in Wien als junger Künstler sein Glück sucht. Die beiden entwickeln eine merkwürdige Beziehung, eine Art Hassliebe. Das Ende kennen wir alle. Seine Spannung bezieht das Stück aus der Tatsache, dass Hitler zu diesem Zeitpunkt noch nicht das „Monster Hitler“ ist, wir aber wissen, dass er es werden wird. Viele Sätze werden doppeldeutig, daraus gewinnt das Stück seinen Witz.
Dann gibt es Lobkowitz, Schlomos Freund, ebenfalls Jude, der das Spiel „Ich bin Gott“ spielt. Gretchen tritt auf, ein junges Mädchen, sie hat eine tiefe freundschaftliche komplizierte Verbindung mit Schlomo, eigentlich eine Liebesbeziehung, aber ohne Sex, trotzdem zieht sie sich aus. Sie ist das Objekt seiner heimlichen Wünsche, die er sich aber versagt. Dann gibt es Frau Tod, eine skurrile Figur. Sie versucht, Schlomo zu überzeugen, dass Sterben besser sei als Weiterleben - angesichts des Schicksals, das dem Juden Herzl bevorsteht, gar nicht so falsch. Sie ist auf der Suche nach Hitler, nicht als Opfer, sondern als Komplize, als Massenmörder.
Schindler: Tabori nennt sein Stück eine Farce, eine Groteske.
Heller: Das hat zu tun mit dem, was ich jüdischen oder schwarzen Humor nenne. Man nimmt den Schmerz - es ist ein schmerzhaftes Thema, wenn wir über den Holocaust sprechen - und kann trotzdem auch lachen. Es ist ein jüdisches Talent, auch in der schlimmsten Situation lachen zu können. Das ist eine Überlebensstrategie. Humor ist Rettung und Heilung.
Schindler: Sie haben sich von Anfang an Musik gewünscht. Warum?
Heller: Tabori nennt sein Stück eine Farce. Musik unterstützt diesen „Showcharakter“. Wir nehmen ein schmerzhaftes Thema und wir können darüber singen. Diese Absurdität - die aber für das Überleben wichtig ist - wird durch Musik zugespitzt. Falk: Musik, die Freude macht und unterhält, das Publikum begeistert und mitzieht, in Kombination mit dem Thema Judenvernichtung, ist natürlich eine Farce. Heller: Ich finde, wenn man sich unterhalten fühlt, ist man mehr bei der Sache, kann der Sache besser folgen. Außerdem: Wenn man in der Lage ist, solche Witze zu verstehen, dann weiß man, dass sie eigentlich nicht lustig sind. Wenn ich darüber lachen kann, dann kann ich damit umgehen.
Falk: Die Musik kommt aus der gleichen Quelle wie der jüdische Humor. Wenn ich über etwas singen kann, dann habe ich bereits eine Distanz zur mich umgebenden Katastrophe gefunden. Singen setzt eine gewisse Verarbeitung voraus.
Schindler: Mit welcher Musik haben wir es denn zu tun?
Falk: Das ist alles von mir komponiert, außer der „Abendstern“, der ist von Wagner und von Tabori gewünscht. Ich habe zunächst eine Klangsprache gesucht, die einen Bogen für den ganzen Abend liefern kann. Sapir Heller und ich hatten dann ganz schnell die Idee, es mit Klezmer-Musik zu versuchen. Diese Musik ist mit dem Judentum verbunden, sie hat etwas folkloristisches, kommt also aus dem Alltag, kann aber auch Festmusik sein und hat auch religiöse Komponenten. Und das Wichtigste: Ich höre in dieser Musik auch immer den Schmerz. Es ist immer beides präsent: das Lachen und das Weinen.
Schindler: Hast du dann Klezmer-Stücke übernommen?
Falk: Nein, ich habe mich in diese Musik eingehört und in diesem Stil improvisiert. Und dann habe ich die Liedtexte von Sapir Heller genommen und langsam in Musik umgesetzt. Bei Schlomo Herzl bin ich dem Klezmer treu geblieben, die Musik der anderen Figuren hat auch andere Farben. Frau Tod, eine skurrile Figur wie aus einer anderen Welt, hat etwas verführerisches, aber auch gefährliches, deshalb bekam sie einen Tango. Außerdem habe ich manchmal eine Harmonik benützt, die von Richard Wagner herkommt. Wagner war schließlich Hitlers Lieblingskomponist. Diese Musik klingt immer so heroisch...
Heller: ... und mächtig. Ich möchte noch auf etwas hinweisen. Hitler singt erst am Schluss, und dann greift die Musik motivisches Material auf, das wir zuerst von den anderen Figuren kennen. Also: Hitler hat nichts eigenes, sondern was ihn ausmacht, nimmt oder stiehlt er von anderen.
Schindler: Sie wollten unbedingt Rüdiger Frank als Hitler. Heller: Ja, ich wollte diese Hitler-Figur, die geschichtlich so übermächtig scheint, radikal runter auf die Erde bringen. Diese Figur sollte ganz anders sein, als man sie kennt. Ein kleiner Mann spielt die Anstrengung, die Macht zu ergreifen. Außerdem ist Rüdiger Frank ein unglaublich toller Rock-Sänger. Das hört man dann im Schluss-Song.
Schindler: Es ist ein sehr abstraktes Bühnenbild.
Heller: Es sind zwei weiße Wände, deren Oberflächen wie abstrakte Steine gestaltet sind. Sie symbolisieren für mich die Klagemauer, die aus den Steinen des zerstörten Zweiten jüdischen Tempels gebildet ist. Alle Requisiten, die in das Stück eingeführt werden, werden an diese Wände gehängt. So entsteht eine Erinnerungs-, eine Traditionswand, die am Schluss zerstört wird. Und diese Wände definieren einen Teil der Bühne, der für das Publikum nicht einsehbar ist. Und dort - „hinter den Kulissen“, wie man so sagt - verwandeln sich die Menschen in Mitläufer Hitlers. Wie bei der realen Machtergreifung, plötzlich waren viele Nazis, von denen man das nicht gedacht hätte.
Schindler: Wir haben eine Doppelbesetzung: Thilo Andersson spielt Lobkowitz, der Gott spielt, und er spielt Himmlisch, eine Figur deren historische Vorbilder Himmler und Heydrich sind. Heydrich, die blonde Bestie, der Hauptorganisator der Judenvernichtung und Himmler, Chef der SS und Herr über die Konzentrationslager.
Heller: Himmlisch ist für mich der Pragmatiker des Bösen. Ein Mensch, der - ohne schlechtes Gewissen, ohne Emotionen - kein Problem hat, zu morden. Ich wollte nicht, dass am Schluss nochmal Lobkowitz mit seiner Spielfigur Gott auftaucht. Da sind die Juden gespalten: Manche sagen, es gibt Gott, er hat uns aus dem Holocaust gerettet. Andere sagen, wenn es Gott gäbe, dann wäre der Holocaust nicht passiert. Ich gehöre zur zweiten Fraktion. Es geht nicht darum, ob ein Gott hilft. Alles, was geschehen ist, haben Menschen gemacht. Hitler, seine Helfer und Mitläufer waren keine Monstren einer anderen Spezies, es waren Menschen.
Ich habe letztes Jahr ein Interview geführt mit dem inzwischen verstorbenen Max Mannheimer, er hat vier KZs überlebt. Er hat mir gesagt: Ich halte mich durchaus für fähig, in anderen Zeiten, unter anderen Umständen, genauso zu handeln. Keiner kann das für sich total ausschließen. Das sagt ein Jude. Das finde ich erstaunlich. Von ihm stammt auch der Satz: Ihr seid nicht schuld an dem, was war, aber verantwortlich dafür, dass es nicht mehr geschieht.

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