Wie es euch gefällt

Gleichzeitigkeit von Komik und Melancholie

Regisseur Reinhardt Friese im GesprächKrause: Sie sind ein großer Bewunderer der Werke von William Shakespeare – seit Antritt ihrer Intendanz setzen Sie in jeder Spielzeit eines seiner Stücke an. Was ist das Besondere an „Wie es euch gefällt“? Friese: „Wie es euch gefällt“ zählt zu den typischen Shakespeare-Komödien, die häufig ähnliche Baumuster haben: Da geht es oft um fantastische Orte, wie den Wald von Arden in diesem Stück, den Wald im „Sommernachtstraum“ oder die Insel Illyrien in „Was ihr wollt“. Es gibt die sich wiederholenden Muster mit den Liebespaaren - gerne mehrere -, die dann auch noch untereinander Liebesverwirrungen haben. Meist liegt eine äußere Drucksituation vor, in „Wie es euch gefällt“ eine Verbannung. Das Besondere an „Wie es euch gefällt“ ist eine Gleichzeitigkeit von Komik und einer tiefen Melancholie, was dem Werk eine ganz eigene Tiefe als manch anderen Komödien, die eher „boulevardartig“ sind, gibt. Shakespeare fragt in diesem Stück am deutlichsten nach der Rolle, die die Liebe spielt – das ist wirklich etwas Einzigartiges. Was macht Liebe aus uns? Und welche Identität erreichen wir durch die Liebe? Er dekliniert dies nicht einfach nur anhand der Geschlechterverwirrung durch - das macht er in anderen Werken auch - er stellt hier die Frage danach, wieso sowas funktioniert. Krause: Wie macht Shakespeare das? Friese: Das lässt sich schön am Beispiel einer kleineren Figur aus einem Nebenstrang zeigen: Man sieht den fast femininen Schäfer Silvius, der selbstlos Phoebe liebt, und Phoebe, die fast männliche Anteile hat. Phoebe begreift die unterwürfige Art von Silvius als Erniedrigung und steht deshalb gar nicht auf ihn. Als jedoch Ganymed auftritt, der ihr gegenüber sehr ruppig ist und ihr signalisiert: „Für dich bin ich unerreichbar!“, verliebt sie sich sofort in ihn. Krause: Das ist schon toll von Shakespeare beobachtet. Friese: Genau! Und das fächert er jetzt mit den für ihn typischen verschiedenen Spielarten kalaidoskopartig auf. Da gibt es beispielsweise die Figur Le Beau, der durchaus eine erotische Anziehung zu Orlando verspürt. Da ist Rosalinde, die in Orlando verliebt ist, aber daneben gibt es auch Celia - da wimmelt es von Anspielungen: „Nie waren zwei Frauen einander so nah wie die.“ Auch hier spielt Shakespeare mit bestimmten Wahrneh-mungen. Ich kenne kein Shakespeare-Stück, in dem alle Formen von Liebe, Geschlechterzugehörigkeit und Sexualität so durchgelebt werden wie in „Wie es euch gefällt“. Krause: Das macht Shakespeare aber nicht unbedingt immer sehr lyrisch. Friese: Nein, da geht es auch schon derb zu. Ausgerechnet der Narr Touchstone - bei dem man annehmen würde, dass er eher dem Intellekt oder dem Geistlichen verpflichtet sei - das ist der derbste Handlungsstrang. Er macht ganz klar, dass er dringend Sex sucht. Und er findet eben im Wald, Gott sei Dank, die halbwillige Schäferin Audrey. Um allerdings an sie heran zu dürfen, muss er sie heiraten; er kann keinen Pfarrer auftreiben und versucht dann eine Scheinehe zu arrangieren, aber auch das geht schief. Am Schluss ist es dann soweit, dass er halt in Gottes Namen heiratet. Das finde ich sehr bemerkenswert, dass in „Wie es euch gefällt“ alle Formen, wie Liebe möglich ist, wie sie ist, was sie aus einem macht und auch zwischen allen möglichen Menschen, durchdekliniert werden. Krause: Und damit ist das 400 Jahre alte Stück immer noch aktuell. Friese: Eben. Auch die Gender-Frage, die in unseren Tagen viel diskutiert wird, spielt da eine wesentliche Rolle. Es lohnt sich, bei diesem Stück auf Ovids Hermaphroditos zu verweisen. Dessen Geschichte gipfelt darin, dass Mann und Frau in der Vereinigung ein drittes Wesen ergeben und man erst durch die Verbindung mit dem anderen Geschlecht „vollständig“ ist. Dieses Motiv bzw. das Spiel mit den Geschlechtern taucht in der Kunst des Barock immer wieder auf, nicht nur bei Shakespeare, auch in anderen darstellenden Künsten wie der Oper. Und das ist in „Wie es euch gefällt“ ein ganz zentrales Thema, bis zum Schlusssatz von der Rosalinde: „Wär ich eine Frau, ich würde alle küssen, wie es mir gefällt, wär ich ein Mann, ich würde laufen, so schnell ich kann. Und wär ich beide, so ging ich aus der Welt.“ - weil sie den Idealzustand erreicht habe. Und so wird geliebt in dem Werk. Und da ist Shakespeare wiederum sehr heutig, indem er fragt: Ist ein Mann ein Mann? Ist eine Frau eine Frau? Was ist das wiederum für andere? Was lösen wir mit welchen Anteilen von uns aus? Und gibt es nicht vielleicht auch noch eine dritte Wahrheit? Krause: Das haben Sie in Ihrer Inszenierung noch etwas weiter auf die Spitze getrieben. Friese: Indem wir in der Besetzung auch einige Rollen übergreifend genommen haben. Zum Beispiel: Anja Stange spielt den alten Diener Adam, der „uralt“ ist. Im Alter löst sich aus Sicht der Außenstehenden die Geschlechtlichkeit in gewisser Weise auf. Da fand ich es interessant, eine Frau damit zu besetzen, sodass die Rolle weder das eine noch das andere Geschlecht ist. Und dann spielt Ralf Hocke neben dem sehr männlichen Ringer Charles auch die durchaus sehr selbstbewusste und sehr untypisch für eine Frau in der damaligen Zeit sich verhaltende Schäferin Phoebe. So befördern wir im Sinn Shakespeares das Spiel mit den Geschlechtern. Krause: Das Ganze spielt zu großen Teilen in einer Paradies-Utopie, dem geheimnisvollen Wald von Arden. Friese: Das ist auch typisch Shakespeare. Es gibt einen ersten Akt bei Hof. Die Zivilisation wird als etwas Unterdrückerisches wahrgenommen. Dann werden alle auf die Reise geschickt - in einen Wald. Erst im Kontakt mit der Natur verspüren die Figuren wieder Freiheit - ein Motiv der damaligen Zeit, welches ganz häufig anzutreffen ist. Gleichzeitig ist der Wald bei Shakespeare auch immer ein Bild für eine Auflösung von Regeln und ein Sich-Selbst-Wiederfinden in dieser aufgelösten Ordnung. Da ist die Gesellschaft um Herzog Senior, wenn man so will, auch die erste Hippie-Kommune, die in der Weltliteratur auftaucht. Krause: Wie bringen Sie den Wald von Arden auf die Bühne? Friese: Man hat bei dem Werk als Regisseur zwei Bühnenräume: Den herzoglichen Hof und den Wald. Den Ersten Akt, den Hof, spielen wir vor dem geschlossenen Eisernen Vorhang mit wenigen Möbeln. Dadurch bekommt die Szene das Gefühl, dass man abgedrängt, auf einen kleinen Raum  gezwängt ist. Dann öffnet sich die Bühne zum Wald und damit öffnen sich auch die Möglichkeiten, die man hat. Für den Wald wollten Ausstatterin Annette Mahlendorf und ich ein „Waldbild“ bzw. „Waldgefühl“ ohne einen naturalistischen Wald auf die Bühne zu stellen, sondern eher eine Kunstlandschaft. Dabei sind wir auf eine monochrome Silber-Optik gekommen mit Stelen, die die Bäume formal darstellen, denn die Figuren sollen dabei im Fokus stehen. Krause: Und die Kostüme? Friese: Mit den Kostüme bleiben wir in der Zeit Shakespeares - in einem irgendwie gearteten Barock. Dazu tragen die Schauspieler eine sehr klare Maske - richtige Theaterschminke, um zu verdeutlichen: „Wir spielen hier Theater.“ Denn es wimmelt in dem Werk von Formulierungen, die klar machen, dass die Figuren ständig mit dem Punkt, dass sie Theater spielen und auf einer Bühne stehen, kokettieren. In dem Spiel zwischen Orlando und Rosalinde doppelt Shakespeare im Prinzip sogar die Theatersituation: Er stellt zwei Schauspieler auf die Bühne, die miteinander spielen, dass sie miteinander spielen. Krause: Shakespeare ist im Original Englisch, daher stellt sich in Deutschland immer wieder die Frage nach der Übersetzung. Für welche haben Sie sich entschieden? Friese: Die Wahl der Übersetzung ist bei Shakespeare schon fast die Hälfte der Inszenierung, weil die Sprache so wahnsinnig viel vorgibt. Es gibt unzählige Übersetzungen, die alle ihre Qualitäten haben. Für „Wie es euch gefällt“ haben uns für die Übersetzung von Thomas Brasch, einem bekannten Bühnenautor der ehemaligen DDR, entschieden. Diese Fassung geht sehr clever mit dem Versmaß um, sodass es sich fast unmerklich in der Sprache auflöst und damit eine ganz geläufige Art miteinanderzureden entwickelt. Brasch baut teilweise durch die Satzstellung ganz gezielt und geschickt Stopper, Bremser usw. ein, wo - wenn man sich die Mühe macht, diese nicht zu überlesen oder für Fehler zu halten - merkt, dass sie einen Sinn haben und spannende Spielmöglichkeiten bieten. Krause: Sie haben den Text der Komödie um Songs ergänzt. Wie kam es dazu? Friese: Es gibt in dem Stück, das ist relativ ungewöhnlich und das gibt es eher selten bei Shakespeare, Musik und Lieder, die gesungen werden, um Zeitsprünge zu füllen. Die Musik und wie sie hergestellt wird, sollte szenisch integriert sein. Da kam uns die Idee eines mittelalterartigen Sounds. Die Textvorlagen boten sich allerdings dabei nicht wirklich gut an. Eine Textvorlage aus dem Werk verwenden wir und zwei Sonette Shakespeares, in denen von einer tiefgreifenden Verzweiflung in Liebesdingen die Rede ist und die sehr gut in die Stimmung von „Wie es euch gefällt“ passen.

> Stückinhalt> Mitwirkende> Fotos> Video> Interview