Sweet Charity

Eine wunderbare Kombination von Schauspiel, Tanz und Gesang

Musikdramaturg Lothar Krause im Gespräch mit Regisseur Kurt Schrepfer
Krause: Sie mögen das Musical „Sweet Charity“ sehr. Schrepfer: Ja! Es eine wunderbare Kombination von Schauspiel, Tanz und Gesang. Ein typisches Musical! Insbesondere die Hauptdarstellerin muss wirklich alles können – spielen, tanzen, singen. Respektive alle Leute auf der Bühne müssen alle drei Sparten bedienen. Krause: Das Stück zählt ins Genre des Tanz-Musicals. Was heißt das? Schrepfer: Dass dieses Stück ins Tanz-Musical- Genre verlegt wird, hat mit Bob Fosse, dem Regisseur der Uraufführung zu tun. Fosse ist ja bekannt für seine Choreographien. Er hatte für seine damalige Frau, Gwen Verdon, die Rolle der Charity Hope Valentine kreiert. Sie war eine wunderbare Schauspielerin, aber vor allem eine tolle Tänzerin – dadurch wurde das Stück dann auch zum Tanz-Musical. Es wird viel getanzt, aber nicht unbedingt das Ballett betreffend, vielmehr tanzt Charity überall mit. Auf der anderen Seite gibt es aber auch bis zu 20 Minuten lange Schauspiel-Szenen, in welche Songs integriert sind – da singt Charity und tanzt. Krause: Umgekehrt geben Sie dem Ballett auch mehr Aufgaben in Ihrer Inszenierung. Schrepfer: In vielen anderen Werken ist es ganz klar aufgeteilt: die einen tanzen nur, die anderen singen nur und wieder andere spielen die Hauptrollen. In diesem Stück ist es durch die verflochtene Kombination etwas anders. Auch das Ballett muss, während es tanzt, singen und spielen. Das Ballett hat hier nicht die Funktion einer Einlage wie zum Beispiel in einer Operette. In diesem Musical wird die Geschichte nicht nur durch die Dialoge, sondern auch durch die Songs weitergeführt; damit das funktioniert, muss das Ballett eben auch weitere Funktionen übernehmen. Krause: Sie haben bereits kurz über Bob Fosse gesprochen, der nicht nur die Grundidee hatte, aus dem Fellini-Film ein Musical zu machen, sondern auch die Uraufführung auf die Bühne gebracht hat. Große Fußstapfen in die Sie da steigen müssen? Schrepfer: Ja schon. Die Musik Cy Colemans wurde mit Fosse und vor allem seinen Schritten entwickelt. Das Schwierigste in der Arbeit war, Schritte zu finden, die nicht von Fosse sind und trotzdem in diese Zeit und auf diese Musik passen, denn es soll ja einen Hauch dieses besonderen Stils Fosses haben. In den meisten Fällen wird eine Musik geschrieben und dann darauf eine Choreographie entwickelt; das war bei „Sweet Charity“ eben anders. Die Musik wurde auf der Probe, während getanzt wurde, komponiert. Wir müssen die Musik, die für Fosses Schritte kreiert wurde, dann anders umsetzen und trotzdem muss sie mit all ihren Akzenten funktionieren. Krause: Auf der anderen Seite hat ein weiterer großer Name des 20. Jahrhunderts, an dem Musical mitgearbeitet: Neil Simon - er ist DER Autor der amerikanischen Boulevardkomödie. Was sich auch in dem Stück stark niederschlägt. Schrepfer: Auf jeden Fall! Es gibt zwei Szenen, welche extrem schauspiellastig sind: Zum einen die Szene mit Vidal in dessen Apartment. Es gibt zwar ein Lied darin, was immer wieder zerstückelt gesungen wird, aber die Szene dauert insgesamt um die 20 Minuten, das ist für ein Musical eine sehr lange Szene. Das ist reine Boulevardkomödie. Zum anderen die Szene im Fahrstuhl - ebenso echtes Boulevardtheater - dauert auch fast eine Viertelstunde. Und das ist ganz unüblich für ein Musical. Normalerweise dauern die Dialoge meist fünf Minuten und dann geht es weiter ins nächste Lied. Bei „Sweet Charity“ sind die Lieder jedoch in die Boulevardkomödie eingebunden. Sie erzählen genauso die Szene wie der Dialog. Das ist der große Unterschied und das gibt es in dieser Form in anderen Musicals nur sehr selten. Und das ist auch ein großer Verdienst Neil Simons. Krause: Wir gehen heiter und lachend durch die Geschichte. Schrepfer: (lacht) Ich hoffe doch sehr. Krause: Nicht zu vergessen, hat doch auch der Komponist Cy Coleman einen großen Anteil am Erfolg des Werkes. Schrepfer: Cy Coleman war ein bekannter Jazz-Pianist seiner Zeit. Mit „Sweet Charity“, „Little Me“, „Seesaw“, „The Life“, „Barnum“, „City of Angels“ und einigen mehr hat er ziemlich viele Musicals geschrieben. Die Musik in „Sweet Charity“ ist sehr typisch für ihn und für seine Zeit. So wie Jerry Herman (komponierte u.a. „Hello, Dolly!“ und „La Cage aux Folles“) ist auch Cy Coleman eine Ikone, was Broadway-Musik-Theater betrifft. Krause: Die Hauptdarstellerin trägt den Namen Charity Hope Valentine… Schrepfer: Der Name ist Programm. Charity bedeutet „Wohltätigkeit“ oder „Nächstenliebe“; Hope heißt „Hoffnung“ und Valentine kommt von „Valentinstag“. Und das ist auch genau das, was diese junge Frau durchlebt. Sie ist relativ blauäugig, ein bisschen naiv und gibt ihren Glauben, eines Tages die große Liebe zu finden, nicht auf. Und irgendwie mag sie alle Leute. Sie ist immer freundlich, immer höflich. Sie benimmt sich auch so, als hätte sie jeden Tag einen Preis gewonnen. Alles ist immer wunderschön und trotzdem durchläuft sie viele tragische Momente, rappelt sich jedoch immer wieder auf. Ein Stehaufmännchen. Das Schlimmste kann passieren und sie gibt die Hoffnung nicht auf, bis zum Schluss nicht. Wenn man das leben kann, geht man, glaube ich, sehr glücklich und zufrieden durchs Leben. Krause: Was sucht Charity denn überhaupt in den Männern? Und warum gerät sie immer an den Falschen? Schrepfer: Sie sucht Liebe, Geborgenheit und Sicherheit. Ich glaube, viele Frauen können etwas davon erzählen, warum man an den Falschen gerät. Wie heißt es immer so schön über Frauen: Für das Abenteuer wollen sie den Strolch, schlussendlich heiraten sie jedoch den netten Mann von nebenan. Und darum gerät auch Charity immer wieder an solche Männer, die sie dann ausnutzen. Krause: Mich erinnert die Geschichte an Märchen. Schrepfer: In einer gewissen Form ist es auch ein Märchen. Die Vorlage zum Musical war der Fellini-Film „Die Nächte der Cabiria“ und alle Fellini-Streifen sind Märchen, auch wenn sie teilweise furchtbar, schrecklich und brutal sind. Er zeigt Leute aus dem Leben. Für die Maria im Originalfilm wurde er durch eine Hure, die er gesehen hatte, inspiriert. Daraus hat er dann diese Geschichte gemacht und dennoch ist bei Fellini natürlich unglaublich viel Fantasie und Ausschmückung dabei; das wirkt dann manchmal schon wie im Märchen. Gerade wenn man so eine Geschichte aus unserer heutigen Sicht sieht, da wirkt es noch märchenhafter. 1950 ist es vermutlich weniger Märchen gewesen als heute, in der Zwischenzeit haben sich einfach viele Dinge verändert. Die Hoffnung auf den Traumprinzen gibt es aber heute noch genauso und dieser Traum wird auch bestehen bleiben, solange wir mit Märchen aufwachsen, in denen Prinzen auf weißen Pferden für Dornröschen und Schneewittchen daher reiten. Krause: „Sweet Charity“ spielt 1966 in New York. Wann und wo spielt Ihre Inszenierung? Schrepfer: Wir spielen es auch 1966. Die Zeit ist gleichgeblieben. Ich habe jedoch jeglichen Bezug auf New York aus dem Stück herausgenommen – es könnte überall spielen: Berlin oder Paris oder oder oder… Wichtig ist nur, dass es in einer Großstadt oder zumindest größeren Stadt spielt. Zum einen haben die Menschen in der Großstadt andere Probleme als in einem Dorf, gerade was zwischenmenschliche Beziehungen betrifft. In einem Dorf kennt jeder jeden, allein deswegen ist das Verhältnis untereinander ganz anders als in einer Metropole. Zum anderen hat es mit Charitys Job als Taxi-Girl (eine Frau, die wie ein Taxi gemietet wird) zu tun. In Deutschland würde man es am ehesten „Eintänzer“ nennen. Eine Frau wird für einen Tanz oder für 20 Minuten gemietet – man redet miteinander, trinkt Champagner oder einen Kaffee und dann ist die Frau wieder weg. Diesen Beruf würde es auf dem Land in dieser Form gar nicht geben. Vielleicht richtige Prostituierte, aber die wohnen dann außerhalb des Dorfes oder haben irgendwo ihren Parkplatz. Krause: Hat der Ort „Großstadt“ nicht auch was mit Sehnsüchten zu tun? Schrepfer: Natürlich! Eine Großstadt hat eine andere Dynamik als ein kleiner Ort – da ist die Sehnsucht nach Geborgenheit und Liebe eine andere. Wenn man auf dem Land aufwächst, da kann man die Kinder einfach rauslassen – Quadratkilometer einfach Wiese und Wald. Die Kinder gehen am Morgen aus dem Haus und kommen am Abend wieder heil heim, ohne dass die Eltern sich Sorgen machen müssen. In einer großen Stadt ist das so nicht möglich. Ich glaube, daraus resultiert eine andere Sehnsucht – eben nach dieser Art der Freiheit und damit auch nach Liebe und Geborgenheit.
Regisseur Kurt Schrepfer

Regisseur Kurt Schrepfer


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