Einstein - Das Musical

Interview: Ein Stück über Raum und Zeit und die Verantwortung von Wissenschaftlern

Musikdramaturg Lothar Krause im Gespräch mit Regisseur Reinhardt Friese

Krause: „Einstein – das Musical“ – schon im Titel treffen Wissenschaft und Kunst aufeinander. Der größte Revolutionär der Physik wird zum Thema eines Bühnenwerks. Wie entstand die Idee, ein Musical über Albert Einstein bei den Autoren Stephan Kanyar und Maren Scheel in Auftrag zu geben?

Friese: Um ehrlich zu sein, war es nicht meine Idee, sondern eine der Autoren, die sich generell für eine Zusammenarbeit mit dem Theater Hof interessiert haben. Stephan Kanyar ist ein Komponist, der auch an sehr renommierten Häusern immer wieder Uraufführungen seiner Werke erfährt, zuletzt in Essen, Dessau und Innsbruck. Als ein Theater, das im Musical-Genre immer wieder neue Wege gehen will und sich auch dafür interessiert, neue Stücke auf den Weg zu bringen, war es für uns natürlich interessant, mit diesem Autorenteam ins Gespräch zu kommen. Die Idee der Beiden, ein Stück über Albert Einstein zu konzipieren, fanden wir angesichts unseres Spielzeitmottos „Glauben und Wissen“ geradezu genial; Jahrestage Einsteins, wie 100 Jahre Allgemeine Relativitätstheorie, kommen dann auch noch hinzu. Das sind alles Dinge, die wir sehr spannend fanden. Nachdem uns die Autoren das erste grobe Sujet vorgestellt haben, wurde schnell klar, das werden nicht drei Stunden musikalischer Physikunterricht. Auf eine komödiantische, sinnliche, aber auch berührende und teilweise sehr ernsthafte Weise sollte nicht nur das Leben eines Physikers beleuchtet werden, sondern es ist eigentlich ein Stück über Raum und Zeit und auch die Verantwortung von Wissenschaftlern für ihr Tun – Wie gehen Wissenschaftler mit dem Stichwort Verantwortung um? Das ist etwas, das ich sehr wichtig finde, wenn man sich mit der Thematik auseinandersetzt. Einstein war kein sehr verantwortungsvoller Mensch was private Beziehungen (der Umgang mit Frauen und seinen Söhnen) angeht und er hat sich bis zu seinem Lebensende sehr schwer damit getan, einen Zusammenhang zwischen seiner ethischen Verantwortung und dem Bau und Abwurf von Atombomben herzustellen. Das sind Fragen, die das Stück auf eine völlig unpädagogische Weise und teilweise nur zwischen den Zeilen stellt.

Krause: Sie haben es bereits gesagt: kein dreistündiger Physikunterricht. Wie schwer ist es jedoch das Leben und Wirken eines Wissenschaftlers, dessen Theorien zugegebener Maßen extrem schwer zu verstehen sind, auf die Bühne zu bringen? Muss man Physiker sein, um dem folgen zu können?

Friese: Ich glaube, ich habe eine hervorragende Grundvoraussetzung als Regisseur in die Arbeit eingebracht: Ich habe nämlich überhaupt keine Ahnung von Physik. (Lacht) Daher habe ich sowohl in der Entwicklung des Werkes als auch in der Probenarbeit immer wieder versucht, darauf zu achten, dass die Szenen, in denen es um Physik oder ähnliche wissenschaftliche Zusammenhänge geht, von den Autoren so konzipiert sind, dass sie plastisch und gut verständlich sind. Und wenn man sie nicht versteht, bleibt noch eine andere Ebene, die ich fast noch wichtiger finde, nämlich was das mit den Figuren auf der Bühne macht. Zum Beispiel: Die Erkenntnis, dass der Raum gekrümmt und nicht sozusagen linear ist – Was löst das in den Figuren aus? Was macht das mit ihnen emotional? Und das kann man auch verstehen, wenn man überhaupt keine Ahnung von Naturwissenschaften hat. Das ist für mich das Wesentliche! Es soll keine Physikstunde werden, wir erklären nicht die Relativitätstheorie, sondern wir jonglieren sozusagen mit verschiedenen Sachen, die einen Einblick in die Größe, den Wahnwitz oder auch die Einsamkeit eines genialen Menschen geben und den Versuch ermöglichen, nachzuvollziehen, wie jemand solche Ideen entwickeln konnte.

Krause: Um es mit Albert Einsteins Worte zu sagen: „Phantasie ist wichtiger als Wissen, denn Wissen ist begrenzt.“

Friese: Ein wichtiger Satz in dem Stück! Wir versuchen, in der Aufführung auch immer wieder phantasiemobilisierende Momente zu haben. In der Art wie wir das Stück machen, ist es eine Jonglage mit mehreren Ebenen, Illusionen, Einbildungen, Realität - dafür versuchen wir Bilder zu finden, die hoffentlich auch die Phantasie des Publikums beflügeln.

Krause: Das Musical erzählt die Geschichten um Albert Einstein auf zwei Ebenen, dazu noch in einer Spanne von über 90 Jahren, durch Monarchie und zwei Weltkriege in Deutschland, der Schweiz und den USA. Wie setzen Sie dies optisch um?

Friese: Früh stand fest, dass wir kein klassisches Biographie-Musical machen wollten. Mir war wichtig, dass wir einen neuen Zugriff auf eine historische Figur, die wir auf die Bühne bringen, finden. Da spielt die Rahmenhandlung eben eine große Rolle, die in einer späteren Arbeitsphase dazugekommen ist: Die beiden Autoren sind auf die realexistierende Person des Dr. Thomas Harvey gestoßen. Er hat sich mit dem Gehirn von Einstein aus der Pathologie auf und davon gemacht, es aufgeschnitten, in mehreren Mayonnaisegläsern in einer Kühlbox quer durch die USA über mehrere Jahrzehnte transportiert. Er versuchte, in dem Gehirn einen Anhaltspunkt für Genie zu finden. Das Hinzunehmen dieser Ebene des Dr. Harvey hat uns viele Möglichkeiten gegeben. Wir sehen das Stück quasi durch dessen Augen. So spielt die gesamte erste Hälfte des Stücks in einem typisch amerikanischen Motel, in das sich Dr. Harvey zurückgezogen hat, um unbelästigt, unbehelligt und unverfolgt seine Forschungsarbeiten an jenem Gehirn vornehmen zu können. In dieses Motel bzw. im zweiten Teil in die Pathologie dringen die Figuren aus der Vergangenheit ein. Dadurch entstehen sehr surreale Bilder. Im Zuge der Atombombe löst sich diese Raumstruktur dann jedoch völlig auf und wir sind am Schluss in einem Bühnenraum fernab von Zeit, Raum und realistischer Verortung – wie es auch dem sich verschlechternden Geisteszustand des Dr. Harvey entspricht.

Krause: Thema „Atombombe“. Einstein war nicht nur Wissenschaftler, sondern auch bekennender Pazifist. Sein Wissen gab Hilfestellung bei der Entwicklung der Atombombe, von deren Verwendung er jedoch entschieden abriet. Nach dem Zweiten Weltkrieg sah er in der Einrichtung einer Weltregierung die einzige Chance auf dauerhaften Frieden. Einstein starb vor 61 Jahren, seine Gedanken bleiben bis heute jedoch erschreckend aktuell.

Friese: Absolut! Die Wissenschaft schreitet immer weiter voran und es wird auch weniger greifbar. Eine Bombe, bei deren Abwurf zehntausende Menschen umkommen - das ist für jeden leicht, sich dagegen zu positionieren, weil Pro und Contra sehr klar auf der Hand liegen. Die Wissenschaften, die sich beispielsweise mit dem Internet, mit Überwachungstechnologien und dem gläsernen Menschen beschäftigen, kommen versteckter daher. Auch diese Forschungen können uns auf die Nase fallen: Es ist auch ein gutes Kontrollmittel und kann militärisch verwendet werden. Oder wenn wir an Gen- und Organbanken denken: Wie soll man zum Beispiel einem Menschen erklären, dass man dieses Wissen nicht auch medizinisch nutzen sollte? Es ist der ewige Widerstreit: Mit fortschreitender wissenschaftlicher Entwicklung werden die Missbrauchsmöglichkeiten von Wissenschaft immer größer. Das ist eine riesige Herausforderung, vor welcher wir alle stehen.

Regisseur und Intendant Reinhardt Friese

Regisseur und Intendant Reinhardt Friese


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