Der kleine Horrorladen

GOSSE UND MAGIE

Regisseur Reinhardt Friese im GesprächSchindler: „Traumtänzer - Gaukler - Schmierenkomödianten“ ist das Motto der Spielzeit. Wo würden Sie unser Stück einordnen? Friese: Am ehesten wohl bei „Traumtänzer“. Der Ausgangspunkt der Handlung ist jedenfalls der Tragödie verhaftet. Es geht um Menschen aus dem Armenviertel einer Großstadt, die keine Chance zum Aufstieg haben, die weitere Benachteiligungen haben durch Aussehen, mangelnde Bildung, Seymour ist ein Waisenkind, er wird quasi unter der Ladentheke aufgezogen... Das ist natürlich mit Klischees versehen, aber die Grundsituation ist durchaus eine ernsthafte. Das ist eine der Qualitäten des Stücks: der Wille, dem Dreck zu entkommen, die Suche nach Liebe. Das finde ich anrührend. Und das ist eingehüllt in Witz, Ironie bis zum Klamauk. Schindler: Das, finde ich, wird auch in der Musik deutlich. Zwei Melodien sind unvergesslich: „Jetzt hast du Seymour“ und „Im Grünen, irgendwo“. Alle Unzulänglichkeiten der beiden Hauptfiguren werden veredelt und aufgewogen durch diese große Liebe. Friese: Und man sollte sich vor Augen halten: In den USA, aus denen das Stück kommt, gibt es eine weitere Dimension. Stichwort: American Dream. Seymours Idee: „Wenn ich mich anstrenge, wenn ich etwas unternehme,“ - er experimentiert mit Pflanzen - „dann kann ich es schaffen.“ ist ein zutiefst amerikanischer Gedanke. Aber die Skid Row, die Straße, wo die Armen und Ausgestoßenen wohnen, die kennt man auch in Deutschland. Diese Momente des Stücks haben wir sehr ernst genommen, die witzigen, skurrilen sind ja deshalb nicht verschwunden. Ohne soziale Verortung und die Suche nach der großen Liebe fehlt dem Stück das Zentrum, um das dann das Lustige und Satirische wachsen kann. Schindler: Also, ein ernstzunehmendes Stück... Friese: Gute Unterhaltung ist immer ernst zu nehmen und die beiden Hauptfiguren im „Horrorladen“ erst recht. Die Sehnsucht nach der großen Liebe, der Gedanke: „Ich bin nicht gut genug für diese tolle Frau“ sind uns ja nicht fremd. Das ist die männliche Sicht. Umgekehrt sagt sich die Frau: „Ich würde gerne anders leben, ich würde gerne jemanden finden, der mich erkennt als das, was ich im Kern bin, und nicht nur die attraktive Hülle schätzt.“ Das sind doch Themen, mit denen man was anfangen kann. Schindler: Trotzdem finden wir ja auch deftige Typen auf der Bühne: der gewalttätige Freund, der als Zahnarzt sadistischen Neigungen frönt, aber auch Mr. Mushnick als cholerischer Blumenladenbesitzer... Es sind Überzeichnungen. Friese: Na klar, es sind Typen. Aber: die Typen, die Klischees entstehen ja eben dadurch, dass bestimmte Verhaltensformen häufig vorkommen. Sonst könnte man ja kein Klischee aus ihnen machen. Schindler: Es gibt noch ein weiteres Element, das ist der geradezu faustische Blutspakt. Ist das nur eine Dramaturgen-Idee, oder war Ihnen das wichtig? Friese: Es gehört wesentlich zum Stück. Gehen wir zurück zur Motivation von Seymour, zum amerikanischen Traum. Der besagt: Ich kann mich aus untersten sozialen Verhältnissen durch harte Arbeit, Fleiß und Innovationskraft nach oben arbeiten. Er kürzt aber den Weg der Anstrengung ab: denn er hat die Pflanze, die Basis seines Ruhms, nicht selbst gezüchtet, geschaffen, sondern er hat durch Zufall eine außerirdische Pflanze zu einem Spottpreis gekauft. Dann: Der Tod des Zahnarzts ist - juristisch gesprochen - eine unterlassene Hilfeleistung, Mr. Mushnick schickt er in den Tod. Also: Er wird - auch und gerade moralisch - schuldig. Aber dieses Musical basiert auf einem reißerischen B-Movie, wodurch eine zweite, durchaus ironische Ebene hinzukommt. Deshalb können wir darüber lachen. Schindler: Es gibt eine Wunderwaffe im Stück. Ein Darsteller tritt in sieben verschiedenen Rollen auf... Friese: ...Das Schweizer Taschenmesser der Aufführung. Das ist von den Autoren so vorgesehen. Man braucht natürlich einen wandlungsfähigen Schauspieler. Beim Publikum entsteht die Erwartungshaltung „In welcher Verkleidung kommt er beim nächsten Auftritt?“, die auf komische Weise erfüllt wird. Man darf nicht vergessen: Die ursprüngliche Musical-Produktion war eine Off-Broadway-Show. Je weniger Darsteller, desto weniger Gagen mussten bezahlt werden. Und man gewinnt noch ein witziges Moment. Schindler: Ein besonderes Merkmal der Besetzung ist das Liebespaar. Friese: Wir haben da type casting gemacht. Abgesehen davon, dass die Beiden das fantastisch spielen und singen, ist schon allein durch das Größenverhältnis für das Publikum klar, was gemeint ist. Die Unerreichbarkeit der tollen Frau, die Aussichtslosigkeit des Protagonisten. Schindler: Ein Wort zur Musik... Friese: In der Verfilmung ist die Musik extrem synthesizerlastig. Man konnte so mit nur einem Instrument viele Sound-Effekte erzielen. Das war damals außerdem neu und schick. Heute klingt das manchmal ein bisschen nach Plastik. Deshalb haben Willi Haselbek, der musikalische Leiter, und ich uns entschlossen, ein Saxophon in die Besetzung hinzuzunehmen. Wir wollten näher am Originalklang der Musik der 1950er Jahre sein, die das Stück ja zitiert. Schindler: Das Stück heißt „Der kleine Horrorladen“, aber... Friese: ...aber es ist ein bühnentechnisch großes, aufwändiges Stück. Denken Sie allein an die Pflanze, die in vier Größen auftaucht, die sprechen, die sich bewegen können und diverse Personen verspeisen können muss. Wir haben das Glück, dass wir mit unserem Schlosser, Herrn Martin und unserer Plastikerin, Frau Rott zwei Spezialisten in den Werkstätten haben, die die Mechanik und die plastische Ausgestaltung umsetzen können. Die Beiden begannen mit ihrer Arbeit bereits im April des vergangenen Jahres, also über neun Monate vor dem szenischen Probenbeginn. Der opulente Aufwand gehört zu diesem Stück dazu, das geht nicht auf der leeren Bühne. Außerdem arbeite ich gerne mit Puppen. Ich finde, wenn sich eine Puppe - hier: Pflanze - und die Stimme eines Darstellers zu einem lebendigen Wesen vereinen, das ist immer ein magischer Moment für den Zuschauer.

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