Ein Traumspiel

„EIN TRAUMSPIEL“ - KRAFTVOLL, KOMPLEX, ESSENTIELL

Dirigent Walter E. Gugerbauer, Regisseur Lothar Krause und Ausstatterin Annette Mahlendorf im GesprächSchindler: Mit „Ein Traumspiel“ ist ein selten gespieltes Stück auf dem Spielplan.Krause: Aber es passt genau in einen Spielplan unter dem Motto: Traumtänzer - Gaukler - Schmierenkomödianten. Intendant Reinhardt Friese hat eine Aufführung der Oper Mitte der 1980er Jahre in Wiesbaden gesehen, die ihn sehr beeindruckte. Und ich erlebte vor Jahren das Schauspiel von Strindberg. Da waren wir uns schnell einig, diesen Brocken auf die Bühne zustemmen. Schindler: Ich vermute, es ist das Schwierigste für einen Regisseur, auf der Bühne eine Geschichte zu erzählen, von der man den deutlichen Eindruck hat, wenn man die Geschichte erzählt, hat man das Wesentliche noch lange nicht gesagt. Krause: Ja, es ist weniger eine Handlung im eigentlichen Sinn, denn eine episodenhafte Beschreibung von Zuständen, um den großen Kern des Werkes, die Frage nach dem Welträtsel, zu fassen. Und um es noch schwerer zu machen, schreibt sich Strindberg selbst in der Figur des Dichters als Ausdrucksmittel verschiedener Geisteshaltungen in die Geschichte hinein. Diese Dichter-Figur spaltet sich dann noch in zwei weitere Figuren auf: den Advokaten - als negativer Teil des Dichters, ein jammernder und leidender Pessimist - und den Offizier - als träumender und scheinbar glücklicher Doppelgänger. Das Schauspiel entstand nach der sogenannten Inferno-Krise Strindbergs. Schindler: Strindberg sah sich durchaus als Auserwählten, als leidend Auserwählten, auf seinen Schultern das Leid der Welt. Krause: Richtig, das beschreibt er in der Figur des Advokaten, als Dichter erlebt er den schmerzlichen Traum und formuliert die Klagen der Menschen, und als gefangener Offizier ist er bedürftig der Befreiung durch eine Frau. Diese drei Figuren sind Teile einer gespaltenen Persönlichkeit. Schindler: Bemerkenswert erscheint mir, dass Strindberg vom hinduistischen Gott Indra spricht, gleichzeitig benützt er deutlich christliche Symbole, etwa wenn Indras Tochter dem Advokaten die Dornenkrone reicht. Krause: Mich erinnert das an Wagners „Parsifal“: „Durch Mitleid wissend, der reine Tor“. Das ist für mich Indras Tochter. Und auch Reimann fühlte sich bei der Komposition an dieses Stück - genauer: beim Komponieren der Fingalsgrotte - erinnert. Schindler: Bei Wagner ist der Gedanke ganz stark: Die Rettung der Welt durch die Kunst. Und Strindberg hat diesen Gedanken auch: Der Künstler als Wissender und als Stellvertreter des Menschen an sich. Bleibt die Frage: Wie setzt man Philosophie auf dem Theater um? Theater ist immer konkret. Krause: Wir erzählen das Stück auf einer Fantasie-, einer Traumebene. Ein Märchen für Erwachsene. Eine realistische Spielebene - Motto: Wir spielen das Ganze in einer Fabrik - wirkt auf mich wie eine Banalisierung. Im Stück fällt die Tochter des Gottes Indra auf die Erde, das ist jenseits jeden Realismus‘, eben nur in der Form einer Fantasie erzählbar. Da kann dann die verstorbene Mutter des Offiziers als seine Geliebte Viktoria wieder auftauchen - tiefenpsychologisch interessant -, oder der Vater des Offiziers tritt erneut in die Handlung als Polizist, der das Öffnen der geheimnisvollen Tür untersagt, später als Quarantänemeister und als Universitätskanzler. Also als die personifizierte Machtinstanz. Es sind Bilder für eine extreme Welterfahrung, und so gelangt eben doch ein Sinn in die scheinbar wirre Fantasie. Schindler: Wenn nur rationale Logik gelten dürfte, dann wäre ein Autor wie Kafka nicht denkbar. Es gibt eben Dinge zwischen Himmel und Erde, die sich unsere Schulweisheit nicht träumen lässt. Krause: Es kommt immer darauf an, was man als Wirklichkeit zulässt. Strindberg hätte gesagt, eure Logik beschreibt ja gar nicht die Wirklichkeit, wirklich ist das, was ich beschreibe. Und in dem Werk geht es eben um die Verschmelzung von Traum und Realität, deshalb auch die Gedanken des Surrealismus in der Ausstattung. Schindler: Ein ungemein beeindruckender Moment ist, wenn Indra, der Gott, spricht. Krause: Reimann gibt diese Stelle dem Herrenchor. Das ist ganz solitär. Deshalb habe ich einen ungewöhnlichen Ort gesucht, von dem die göttliche Stimme kommt. Man muss vieles erfinden. Denn im Originalstück von Strindberg gibt es zwar Bildbeschreibungen, aber kaum Regieanweisungen. Das führte uns zur Abstraktion im Bühnenraum. Im Grunde besteht das Werk aus Bildern des menschlichen Zusammenlebens, oder wie Reimann sagte: „Es ist ja auch ein Gang in dieses Schlosss, was unendlich wird, und aus einem Raum ergibt sich der nächste, und so fort.“ Schindler: Wie geht man an ein so philosophisches Stück heran? Mahlendorf: Man versucht, es zu verstehen, scheitert, versucht es erneut und verlässt sich dann auf seine Intuition. Ich habe natürlich zuerst das der Oper zugrundeliegende Theaterstück von Strindberg gelesen. Aber schon da war mir klar, dass man mit unserer alltäglichen Logik nicht weit kommt. Es ist ein Traum-Spiel, das den Zuschauer in eine Traum-Welt entführt Schindler: Es ist eine Welt, die sich unserem rationalen Zugriff entzieht. Mahlendorf: Daher war mein erster Gedanke, einen Raum zu bauen, der eine Traum-Welt darstellt. Und sofort hatte ich auch eine visuelle Umsetzung im Kopf. Ich dachte an Magritte, den belgischen surrealistischen Maler. Er zeigt in vielen seiner Bilder Gegenstände der Realität, aber durch die Kombination in einem Bild werden sie surreal. Ein Beispiel: Die Wolken sind auf dem Boden, und darüber spannt sich ein Sternenhimmel. Ein Sommertag mit Sternenhimmel. Ich musste mich auf eine träumende Welt einlassen, das war für mich das Spannende. Schindler: Hat das auch Auswirkungen auf die Kostüme? Mahlendorf: (lacht) Die sind auch traumhaft. Der Chor ist zwischen Traum und Albtraum gekleidet. Zum Traum gehört ja auch der Albtraum. Ich habe mich auch da von Magritte inspirieren lassen. Zum Beispiel: Eine Frau im luftigen, zarten Kleid trägt einen Schnurrbart. Es sind mehrdeutige Widersprüche, die nur im Traum existieren. Schindler: Reden wir über die Musik. Hast du schon oft moderne Musik dirigiert? Gugerbauer: Wenn man das frühe 20. Jahrhundert mitrechnet, dann habe ich viel Modernes dirigiert. Ich erinnere mich an „Wozzeck“, an „Jacobowsky und der Oberst“ in Düsseldorf. Ich habe die 3. Sinfonie meines Lehrers Balduin Sulzer uraufgeführt. Zeitgenössische Musik - egal in welchem Jahrhundert - bedurfte immer einer gewissen Förderung. Und ich liebe die Herausforderung durch etwas Komplexes, sehr Schweres. Schindler: Dazu rechnest du auch „Traumspiel“? Gugerbauer: Ich habe nie eine mit so vielen bunten Eintragungen beschriebene Partitur gehabt. Und noch heute finde ich etwas Neues. Man muss sich einen Fahrplan durch die Partitur zurechtlegen. Schindler: Auch für die Sänger ist es eine große Herausforderung. Gugerbauer: Es ist eine riesige Herausforderung. Ich habe die Partitur, die Sänger müssen das auswendig gestalten. Es gibt zum Beispiel Sätze, die sich wiederholen, dann aber in verschiedenen Rhythmen. Die Partien sind unterschiedlich schwer. Indras Tochter steht den ganzen Abend auf der Bühne, eine sehr komplizierte Aufgabe, der Advokat ist weitgehend im 5/4-Takt notiert, die Rolle des Dichters, ein Bariton, ist die romantischste Partie. Schindler: Was sind die Qualitäten des Stücks? Gugerbauer: Eine unheimliche atmosphärische Dichte, auf die eine oder andere Art sehr berührend, manchmal auch erschreckend bis verschreckend. Ich finde, Reimann ist es gelungen, das Traumhafte / Albtraumhafte so einzufangen, dass man sich an eigene Erlebnisse erinnert fühlt. Es ist wie immer bei komplexen Sachen, man muss sich darauf einlassen, sich hinein wühlen, dann entdeckt man die Schönheiten oder vielleicht die Raffinesse und Könnerschaft einer Komposition. Mahlendorf: Ich finde bemerkenswert, wie viele essentielle Fragen dieses Stück aufwirft: Was ist Liebe? Kann ich immer nur diesen einen Menschen lieben? Das sind Fragen, die einen selbst im Leben betreffen. Schindler: Ich bin verblüfft, mit welcher Sicherheit ein damals 28-jähriger Komponist seine erste Oper mit einem so komplexen, schweren Stoff schreibt. Krause: Reimann weiß, wie man Musiktheater macht, wie man Geschichten erzählt. Es ist eine wirkungsvolle, kraftvolle und spannende Musik. Mich fasziniert, wie er die Charaktere durch die Stimmführung vorgibt. Jede Figur hat individuelle charakteristische Ausdrucksmittel. Gugerbauer: Absolut richtig. Dass hier ein Debütant im Genre der Oper schreibt, merkt man in keiner Phrase. Es kommt hinzu, Reimann schreibt sofort in seinem Stil. Er hat ihn in der einen oder anderen Richtung ausgebaut, aber seine individuelle, musikalische Sprache ist sofort erkennbar.
Regisseur Lothar Krause

Regisseur Lothar Krause


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